- Studie
- Juli 23, 2025
ME/CFS kostet Milliarden – und wir tun … nichts?
Warum Forschung das beste Sparprogramm wäre
Stell dir vor, irgendwo in Deutschland verschwinden jedes Jahr rund 60 Milliarden Euro. Ganz ohne Skandal, ohne Titelseiten, ohne Untersuchungsausschuss. Kein Bankraub, kein Börsencrash – einfach: weg.
Der Grund?
Long Covid und ME/CFS.
Was klingt wie ein Rechenfehler, ist das Ergebnis einer neuen Studie:
Jahr für Jahr verliert Deutschland zweistellige Milliardenbeträge, weil rund 650 000 Menschen durch diese Krankheiten nicht mehr arbeiten können, Pflege brauchen, medizinische Versorgung – oder einfach: fehlen.
Und was passiert politisch?
Nicht viel. Man schaut zu. Oder weg. Oder auf sein Handy. (Vielleicht auf den Taschenrechner – um nachzurechnen, ob das wirklich sein kann.)
Dabei wäre die Rechnung eigentlich ganz einfach:
Wenn eine Krankheit Milliarden kostet, könnte man doch ein paar Millionen investieren, um sie endlich besser zu verstehen.
Oder?
Also Forschung, die helfen könnte. Leben retten. Arbeitskraft erhalten. Angehörige entlasten. Und ganz nebenbei: Geld sparen.
Die Kosten – einmal grob über den Daumen
Ein internationales Forschungsteam hat Infektionswellen, Krankheitsverläufe und gesellschaftliche Folgen durchgerechnet. Das Ergebnis:
- Jährlich entsteht durch Long Covid und ME/CFS rund 60–73 Milliarden Euro Schaden. Allein in Deutschland!
- Verdienstausfälle, Krankenkassenleistungen, Pflegekosten, Frühverrentung, Arbeitgeberverluste
- Und nicht zu vergessen: all die Betroffenen, die nie wieder das geben können, was sie früher beigetragen haben.
Der größte Anteil entfällt inzwischen auf ME/CFS – denn die Long-Covid-Wellen ebbten ab, aber ME/CFS-Fälle steigen weiter.
Es wird also nicht besser. Es wird mehr.
60 Milliarden? Wo ist mein Anteil?
Vielleicht geht es dir wie mir und du fragst dich auch:
Hä? 60 Milliarden Euro?
Verteilt auf rund 650.000 Erkrankte in Deutschland – das wären im Schnitt fast 97.000 Euro pro Person und Jahr.
Also… wo ist bitte mein Anteil?
Ich zum Beispiel war keinen Tag krankgeschrieben, als Selbstständige.
Ich bekomme keine Rente, keine Reha, keine Pflege.
Ich gehe wegen ME/CFS nie zum Arzt.
Offiziell koste ich den Staat: nichts.
Aber wenn man genauer hinsieht, schaut es doch anders aus:
Ich arbeite weniger.
Ich zahle weniger Steuern.
Ich kann meine Eltern kaum unterstützen.
Ich kann kein Ehrenamt übernehmen, keine Projekte leiten, keine Kreativität verschenken.
Ich bin da – aber nicht mehr voll Teil dieser Gesellschaft.
Und das kostet. Nicht direkt über Sozialleistungen – aber indirekt, Tag für Tag.
So geht es vielen.
Die Unsichtbaren in der Statistik.
Die Kranken ohne Diagnose.
Die Stillen im System.
Kein Plan, aber Milliarden Verluste
Wenn ME/CFS also jedes Jahr so viel kostet – wäre es dann nicht rein rechnerisch sinnvoll, mal ein paar Millionen in die Hand zu nehmen und zu fragen:
Was ist das eigentlich genau? Und wie kann man es behandeln?
Denn aktuell gibt es keine Therapie. Keine Medikamente. Keine Struktur.
Es gibt bestenfalls ein paar engagierte Ärzte und Ärztinnen, ein paar NGOs – und sehr viele erschöpfte Menschen, die sich selbst informieren, vernetzen und irgendwie über Wasser halten. (Nicht selten im Liegen.)
Stattdessen zahlen wir jedes Jahr weiter. Mehr sogar.
Denn: Jedes Jahr kommen neue Fälle dazu.
Und mit jedem Jahr steigen die Kosten.
Forschung kostet – aber Krankheit kostet mehr
Was wäre, wenn wir sagen:
Wir investieren 100 Millionen Euro im Jahr in echte Forschung:
- Für bessere Diagnostik
- Für gezielte Therapien
- Für präventive Maßnahmen
- Für Aufklärung im Medizinstudium
- Für echte Versorgung
Das wäre etwa ein Sechshundertstel dessen, was die Krankheit uns jetzt schon kostet.
Forschung wäre also nicht nur Mitgefühl in Laborkitteln.
Sie wäre wirtschaftlicher Menschenverstand! Eine ganz logische Kosten-Nutzen-Rechnung.
Und doch passiert – fast nichts.
Fazit: Forschen statt Verdrängen
ME/CFS ist eine Krankheit, die Menschen das Leben nimmt, aber sie nicht sterben lässt.
Und das jedes Jahr – für viele Jahrzehnte.
Gleichzeitig kostet sie Milliarden, nimmt Arbeitskraft, Kreativität, Beziehungen, Zukunft.
Und trotzdem tut die Gesellschaft – fast nichts.
Stattdessen zahlen wir. Still. Jedes Jahr aufs Neue.
Ohne Hoffnung. Ohne Strategie. Ohne Sinn.
Dabei wäre der Weg klar:
Verstehen, statt verdrängen.
Forschen, statt vertrösten.
Handeln, statt hinnehmen.
Also los, Deutschland: Taschenrechner raus. Und diesmal bitte nicht auf „Ignorieren“ drücken.
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Hinweis:
Die in diesem Artikel genannten Zahlen stammen aus dem Bericht „The Rising Cost of Long COVID and ME/CFS in Germany“, veröffentlicht im Mai 2025 von der ME/CFS Research Foundation in Zusammenarbeit mit Risklayer und weiteren Forschungspartnern.
Der Bericht wurde auf der ME/CFS-Konferenz 2025 in Berlin vorgestellt und basiert auf Modellrechnungen zu Krankheitsverläufen und ökonomischen Auswirkungen.

