
- Studie
- April 15, 2025
Neue Studie: ME/CFS-ler müssen ihre Krankheit ständig beweisen
Neue Studie zeigt: ME/CFS-Patienten fühlen sich unter Druck, beweisen zu müssen, dass ihre Krankheit real ist
Wenn der Körper streikt, die Kräfte versagen und selbst einfachste Alltagstätigkeiten unmöglich werden – doch das Umfeld sieht dir nichts an. Statt Mitgefühl bekommst du überall nur Skepsis.
Dann beginnst du natürlich irgendwann dich selbst zu fragen: Vielleicht ist es doch ’nur psychisch‘ Bilde ich mir meine Erschöpfung nur ein? Vielleicht solltest du dich einfach mehr zusammenreißen? Solltest doch den Ratschlägen folgen und einfach „jeden Tag ein bisschen mehr trainieren“?
Genau diese Spirale aus körperlichem Leid und fehlender Anerkennung begleitet seit vielen Jahren Menschen mit ME/CFS – und seit der Pandemie auch viele mit Long Covid. Eine neue Studie der University of Surrey macht nun deutlich: Die emotionale Belastung durch Unglauben, Rechtfertigungsdruck und medizinische Unsicherheit ist enorm.
Saara Petker, klinische Psychologin, Mitautorin der Studie und ehemalige Doktorandin an der Universität von Surrey, schreibt dazu:
“Wir haben festgestellt, dass unsere Teilnehmer in ständiger Ungewissheit leben und darum kämpfen, eine Behandlung zu finden. Sie sagten uns, dass sie sich nicht gehört fühlen, einige sagten, dass sie aufgrund all dieser Erfahrungen das Vertrauen in Ärzte, ihr soziales Umfeld und sogar in ihren eigenen Körper verloren hätten.
Medizinischer Rat ist wichtig – aber psychologische Unterstützung muss mit Vorsicht angeboten werden. Wenn sie als Ersatz für medizinische Hilfe angesehen wird, kann sie abstoßend wirken.“
Das heißt: Wenn mein Arzt mich gleich zum Psychologen schickt, bevor er meine körperlichen Symptome ernsthaft untersucht hat, bevor er sich überhaupt mit der Thematik ME/CFS ernsthaft auseinander gesetzt hat – dann entsteht genau das Gefühl, das viele ME/CFS- und Long Covid-Betroffene so gut kennen: Dass ihre Beschwerden nicht „echt“ sind, sondern eingebildet, übertrieben oder gar selbst verursacht.
Was als Hilfsangebot gedacht ist, wirkt schnell wie ein unausgesprochenes Urteil: „Da ist nichts. Es liegt an dir. Du bist hysterisch. Wahrscheinlich die Hormone.“
Dabei ist es ein himmelweiter Unterschied, ob jemand psychologische Unterstützung als Ergänzung erhält – oder ob sie die einzige „Antwort“ auf eine schwere körperliche Erkrankung ist.
Gerade bei chronisch unsichtbaren Erkrankungen wie ME/CFS oder Long Covid ist es essenziell, dass medizinische Hilfe nicht durch psychologische Hilfsangebote ersetzt, sondern ergänzt wird.
Nur dann können Betroffene sich sicher fühlen – und nicht wie Verdächtige im eigenen Körper.
Ein zentrales Thema bei vielen Studienteilnehmern war die Angst, dass psychologische Unterstützung als Hinweis darauf verstanden wird, die Symptome seien „nur eingebildet“. Diese Sorge führt dazu, dass viele Betroffene dringend benötigte Hilfe nicht in Anspruch nehmen – aus Angst, erneut nicht ernst genommen zu werden.
„Das Problem ist nicht, dass Betroffene psychologische Hilfe ablehnen – sie sehnen sich danach, ernst genommen zu werden. Wenn aber medizinische Hilfe durch psychologische Angebote ersetzt wird, kann das als Abwertung empfunden werden.“
– Prof. Jane Ogden, Gesundheitspsychologin
ME/CFS ist eine Krankheit, die meist unsichtbar bleibt.
Die Symptome – extreme Erschöpfung, Schmerzen, Brainfog, Kreislaufprobleme – sind oft schwer objektiv messbar. Und genau das macht es so schwer, Verständnis und Unterstützung zu bekommen.
In einer Welt, in der „sichtbar krank“ oft gleichgesetzt wird mit „wirklich krank“, stehen ME/CFS-Betroffene vor einer doppelten Last: Sie kämpfen nicht nur mit einem zerstörerischen Zustand, sondern müssen sich ständig erklären, rechtfertigen, beweisen.
Was also können Angehörige, Ärzte und Mitmenschen tun?
Manchmal ist es ganz einfach – und gleichzeitig enorm wirksam:
Zuhören und Glauben schenken
Nehmen wir die Berichte von Betroffenen ernst – auch (und gerade dann), wenn wir die Symptome nicht sehen können.
Es braucht kein medizinisches Fachwissen, um Empathie zu zeigen. Ein ehrliches „Ich glaube dir“ kann mehr heilen als viele Therapievorschläge. Und es kann das verhindern, was viele Patienten als das Schmerzhafteste beschreiben: das Gefühl, mit allem allein zu sein, sich ständig rechtfertigen, beweisen zu müssen.
Medizinische und psychologische Hilfe kombinieren
Psychologische Unterstützung sollte ergänzend zur medizinischen Behandlung angeboten werden – nicht als Ersatz.
Aufklärung fördern
Je mehr Menschen über ME/CFS und Long Covid wissen, desto größer ist das Verständnis und die Unterstützung.
Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft lernen, auch das Unsichtbare zu sehen und den Betroffenen mit Empathie und Respekt zu begegnen. Dazu braucht es keine medizinische Ausbildung, sondern einfach nur ein bisschen Herz.
Und selbst wenn man keine Ahnung von der Krankheit hat, kann man das offen zugeben und sagen:
„Das hört sich wirklich furchtbar an, was du da beschreibst. Ich glaube dir. Was kann ich tun, um dich zu unterstützen?“
Quelle: University of Surrey – Studie über Long Covid und das Gefühl, die Krankheit beweisen zu müssen